Kann ich die Welt retten?
Die Unterrichtsmaterialien „Kann ich die Welt retten?“ sind 2017 in einer Neuauflage im Verlag an der Ruhr erschienen. Es eignet sich für einen Einsatz in weiterführenden Schulen in den Klassen 8 bis 12. Vor allem in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern wie Sozialkunde oder Geographie lassen sich die Inhalte aus dem Lehrwerk einbinden. Methodische Einbettungsmöglichkeiten eröffnen sich im Rahmen des handlungsorientierten Unterrichts, wobei besonders die Projektarbeit, das Stationenlernen oder kooperative Arbeitsformen passend erscheinen. Aber auch in außerschulischen Settings, in Arbeitsgemeinschaften oder bei der Bildungsarbeit an außerschulischen Lernorten kann das Arbeitsmaterial eingesetzt werden. Alternativ zum gedruckten Lehrwerk gibt es auch eine digitale E-Book-Version. Das Thema Landwirtschaft wird explizit im Kapitel drei „Essen und Trinken“ angesprochen.
Lernziele und Kompetenzen
Mit der Bearbeitung der Seiten erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, vielfältige Kompetenzen zu erwerben, die von den Lehrplänen gefordert werden. So erfahren die Lernenden was ökologische Landwirtschaft ist und wie die Qualität von Bio-Lebensmitteln durch regelmäßige Kontrollen sichergestellt wird. Zudem setzen sie sich mit Argumenten für den Kauf von Bio-Produkten auseinander, über die sie gemeinsam diskutieren. Ein weiterer Aspekt ist der Fair-Trade-Handel, dem sie sich aus der Perspektive von Bananen aus Nicaragua annähern. In diesem Zusammenhang werden die grundlegenden Prinzipien der Regionalität und Saisonalität von Lebensmitteln thematisiert. Speziell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft kommen unterschiedliche Haltungsmethoden von Hühnern und Schweinen zur Sprache, die die Schüler analysieren und kritisch hinterfragen sollen.
Grundsätzlich ist das Lehrwerk stark handlungsorientiert ausgelegt und arbeitet mit Aufgabenstellungen, die die Lernenden dazu auffordern, zu diskutieren sowie sich aktiv und kritisch mit den Lerninhalten auseinanderzusetzen. Auf diese Weise trägt das Austauschen der Argumente und das Vertreten des eigenen Standpunktes zur Meinungsbildung bei. Die Schüler erörtern so praxisnah Handlungsweisen und -alternativen und können sie besser in den Alltag integrieren.
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Lehrwerk ist in einem kartonierten Hefteinband eingefasst und auf ökologisch zertifiziertem Papier gedruckt. Auf die Titelseite und Impressum folgt das Inhaltsverzeichnis. Das Vorwort legt die Intention des Heftes dar und macht zentrale inhaltliche Eckpfeiler unter Bezug zu aktuellen gesellschaftlich strittigen Themen deutlich. Die Kapitel beginnen mit einseitigen Auftaktseiten, auf denen der Titel sowie eine passende Illustration abgebildet sind. Die Seiten der Kapitel sind gefüllt mit verschiedenen Medien und Materialien: Texte, Bilder, Diagramme, Grafiken und Aufgaben. Auch inhaltlich sind sie bunt gemischt und setzen unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Im Anhang finden sich Musterlösungen zu den Aufgaben und Internetlinks, mit denen die Lehrenden und Lernenden vertiefte Recherchen anstellen können. Die Seiten sind in schwarz-weiß gedruckt, so dass problemlos Kopien für den selektiven Einsatz im Unterricht erstellt werden können.
Das Kapitel drei „Essen und Trinken“, das sich mit landwirtschaftlichen Themen befasst, steigt mit dem Schwerpunkt ökologische Landwirtschaft ein und führt einige Kriterien an, die wichtig sind, wenn Produkte ein Bio-Siegel erhalten möchten. Im Weiteren geht es um die Kaufmotivation von Bio-Lebensmitteln. Hierfür führen Kunden unterschiedliche Aussagen und Argumente an, warum landwirtschaftliche Erzeugnisse aus ökologischer Produktion teurer sind. Daran schließt sich eine Seite an, die den fairen Handel und das Fair-Trade-Siegel thematisiert. Auch hier werden die Bedingungen für dessen Erlangung dargestellt. Exemplarisch wird auf die Banane eingegangen und ein kleines Interview mit einem nicaraguanischen Landwirt angeführt, aus dem die Probleme des Farmers hervorgehen. Dabei stehen nicht nur wirtschaftliche und ökologische sondern auch soziale und politische Folgen im Fokus. Abgeschlossen wird diese Einheit mit einem Saisonkalender für regionale Obst- und Gemüsesorten. Ein zweiter thematischer Komplex setzt sich mit der Tierhaltung auseinander. Dabei geht es zunächst darum zu erläutern, warum übermäßiger Fleischkonsum tierschutzrechtlich, ökologisch und gesundheitlich bedenklich ist. Auf den folgenden Seite geht es um nachhaltigen Fischfang und den Umgang mit dessen Beifang sowie um Hühnerhaltung und deren unterschiedliche Haltungsformen. Eine weitere Seite fokussiert auf die Milchproduktion und die Praktiken im Umgang mit den Tieren (Enthornung, frühe Trennung von der Mutterkuh usw.). Weitere Schwerpunkte liegen auf der Kakaoproduktion, Veganismus und Lebensmittelverschwendung.
Reflexion
Das Unterrichtsmaterial greift eine aktuelle und gesellschaftlich hoch relevante Thematik auf. Es ist daher von immanenter Wichtigkeit, diese Themen auch im Unterricht anzusprechen. Zudem folgt es den Bemühungen der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), die fordert den Kompetenzbereich Handlung stärker zu adressieren. Das Heft legt hierauf seinen Hauptfokus und thematisiert Handlungsalternativen in den verschiedensten Lebensbereichen.
In der Analyse ist bereits deutlich geworden, dass die Materialien des Heftes am ehesten für eine Projektwochegeeignet sind. Das Lehrwerk gibt hierzu allerdings keine konkreten Einbettungsvorschläge, was wünschenswert wäre. Denn es sollte darauf geachtet werden, dass eine angemessene fachliche Einbettung der Sachverhalte stattfindet. Ein kollegiales Gespräch, das thematischen Projektwochen zumeist zugrunde liegt, sollte inhaltliche Zuständigkeitsbereiche abstecken (z.B. Biologie, Geographie, Politik, Wirtschaft). Denn nur auf diese Weise kann ein nachhaltiger Kompetenzaufbau geplant und sinnvoll strukturiert werden. Diese fachliche Basis lässt das vorliegende Heft vermissen bzw. erhebt es gar nicht erst den Anspruch, diese zu legen.
Auch für den Einsatz im Fachunterrichtmüssen zunächst die entsprechenden fachlichen Grundlagen gelegt werden, bevor mit der Bearbeitung der Seiten begonnen werden kann. Falls dies schon längere Zeit zurückliegt oder noch nicht erfolgt ist, muss eine entsprechende Basis geschaffen werden. Das Unterrichtsmaterial selbst steigt unter Rückgriff auf Alltagswissen oder unter Zuhilfenahme von einseitigen Textpassagen in die Thematik ein, was nur bedingt lehrplan- und kompetenzorientiert ist.
Die Gliederungder Kapitel ist nicht ganz nachvollziehbar und besitzt keine logische Struktur, wie man es beispielsweise von Schulbüchern oder anderen Lehr-Lern-Materialien kennt. Die Lehrkraft muss hier entsprechend ihrer unterrichtlichen Zielsetzung genau auswählen, wie sie die unterschiedlichen Materialien einbinden möchte und wie diese inhaltlich zueinander passen.
Die didaktisch-methodischeGestaltung der Seitenist medial vielfältig, einheitlich und übersichtlich. Eine Orientierung gelingt für Lehrer und Schüler schnell. Die Texte sind kurz und für die Lernenden der Jahrgangsstufen von angemessenem Niveau. Problematisch sind wie bereits angeführt, pauschalisierende oder vorverurteilende Ausdrucksweisen in Bildunterschriften („Armes Schwein“) oder die Verwendung von plakativen Textaussagen wie „richtig gesund sind sie [die Schweine] eigentlich nie“, „zusammengepfercht“ oder „Wenn die Schweine Glück haben, werden sie vor der Tötung vorschriftsmäßig betäubt.“. Das Material zielt nicht auf Informationsvermittlung sondern fokussiert die Meinungsbildung der Schüler. Es zeigt sich jedoch, dass dieses nur schwerlich unabhängig voneinander gelingt. Dabei könnten Schaubilder helfen, Zusammenhänge schnell zu veranschaulichen und das Vorwissen der Lernenden zu aktivieren.
Ähnliche Tendenzen offenbaren sich auch bei den anderen Materialien: Die Bilder sind sehr plakativ und illustrieren die Realität teilweise falsch oder verkürzt, wie beispielsweise an der Schweinehaltung deutlich wird. Wichtig wäre es, kontrastierende Darstellungen zu wählen, die den Handlungskorridor beschreiben und bei der die Schüler zu einer eigenen Positionierung aufgefordert und zur Diskussion angehalten werden.
Die Aufgabenauf den Seiten besitzen Handlungscharakter und fordern die Schüler zur weiteren Recherche und zur Diskussion in Gruppen auf. Sie sind nicht operationalisiert oder differenziert und bieten keine taxonomische Gliederung. Es wäre erstrebenswert abwechslungsreichere Aufgabenformate zu wählen. So könnten die Schüler bspw. zur Gestaltung unterschiedlicher Handlungsprodukte angeleitet werden, indem sie selbst aktiv werden und Plakate erstellen, Vorträge gestalten oder Broschüren entwerfen, die dann im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert werden könnten. In diesem Kontext könnten Schrittfolgen im Sinne einer Differenzierung berücksichtigt werden, um die Arbeitsphasen für die Lernenden besser zu strukturieren.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Lehrwerk einerseits Themen fokussiert, die gerade im Rahmen der BNE von hoher Bedeutung sind, andererseits werden diese nicht ausreichend objektiv und fundiert vorgestellt. Konkrete Handlungsvorschläge zur Nachhaltigen Entwicklung in Lehr-Lern-Prozesse einzubeziehen, ist eine aktuelle Forderung, der viel zu selten nachgekommen wird. Daher widmet sich das Werk relativ neuen und schwer umsetzbaren Herausforderungen. Eine angemessene fachliche Information und Fundierung müsste überwiegend ohne die analysierten Unterrichtsmaterialien geschehen. Leider beinhaltet das Werk teilweise nicht objektive, verkürzte und vorverurteilende Aussagen. Weiterhin sind abwechslungsreichere Aufgabenformate und konkrete Gestaltungshinweise für die Lehrkräfte wünschenswert. Auch ein stärkerer Bezug zum regionalen Lernen, der auch den Besuch auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mit einschließt, würde zur Optimierung beitragen.
[1]Im Folgenden wird zur Vereinfachung das generische Maskulinum genutzt.
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